Donnerstag, 28. März 2024

Neu im Kino: Die Poesie des Unendlichen

Matt Browns Film mit Jeremy Irons und Dev Patel in den Hauptrollen erzählt die auf wahren Begebenheiten basierende Geschichte des renommierten englischen Mathematikprofessors Godfrey Harold Hardy, der am Vorabend des Ersten Weltkrieges das aussergewöhnliche indische mathematische Talent Srinivasa Ramanujan nach Cambridge einlädt

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von Dr. José García, zenit.org

Basierend auf Robert Kanigels Biografie The Man Who Knew Infinity: A Life of the Genius Ramanujan (1991) schildert der aus Boston stammende Drehbuchautor und Regisseur Matthew Brown im Spielfilm Die Poesie des Unendlichen (Originaltitel: The Man who knew Infinity) das Leben des indischen Mathematikers und Autodidakten Srinivasa Ramanujan (1887-1920). Bereits der Vorspann weist daraufhin, dass Matthew Brown seine Filmbiografie klassisch inszeniert: Mathematische Formeln wechseln sich mit Titeln in verschnörkelter Schrift ab.

Nach einer kurzen, im Jahre 1920 am Trinity College in Cambridge angesiedelten Szene mit dem trauernden Mathematik-Professor Godfrey Harold Hardy (Jeremy Irons) führt Die Poesie des Unendlichen ins Südindien des Jahres 1913. Für Srinivasa Ramanujan (Dev Patel) ist Mathematik sein Leben. Häufig zieht er sich in den Tempel seines Heimatorts zurück, um mit Kreide mathematische Formeln auf den Boden zu zeichnen. Ramanujan versteht die intuitiven Eingebungen als göttliches Geschenk (Eine Gleichung ist nur wahr, wenn sie einen göttlichen Gedanken ausdrückt). Da er aber keine akademische Ausbildung besitzt, wird es für Ramanujan schwierig, eine Arbeitsstelle zu finden. Als er als einfacher Büroangestellter bei Sir Francis Spring (Stephen Fry) eine Stelle findet, ahnt dieser, dass sein Angestellter etwas Besonderes ist. Doch verstehen kann ihn im kolonialen Indien eigentlich niemand so recht.

Mit Sir Francis Hilfe gelingt es dem mathematischen Genie, Arbeitsproben nach England zum berühmten Mathematik-Professor G. H. Hardy zu schicken. Obwohl Hardy zunächst eher an einen Betrüger denkt, überzeugt er sich bald von der Einmaligkeit von Ramanujans Berechnungen. Hardy beschließt, trotz der Widerstände im akademischen Milieu des Trinity Colleges Ramanujan nach Cambridge einzuladen. Ramanujan lässt seine Heimat, seine Mutter und seine junge Ehefrau Janaki (Devika Bhisé) zurück. In England erlebt der junge Inder einen Kulturschock: Das kalte Wetter und das für einen vegetarisch lebenden Hindu nicht annehmbare Essen setzen ihm zu. Schwerer wiegt, dass Hardy von ihm streng herbeigeführte Beweise (Nicht Intuition, Nachweise!) sowie den Besuch von Vorlesungen verlangt. Darin offenbart sich zwischen dem Mentor und dem jungen Genie ein kultureller Unterschied, der noch tiefer geht. Dieser Gegensatz wird auch auf der Ebene der Religion deutlich, als etwa Hardy sagt Ich bin ein sogenannter Atheist und Ramanujan darauf antwortet: Nein, Sie glauben an Gott, aber Sie meinen, er hat Sie nicht gerne.

Dennoch bringt der Professor immer wieder Verständnis gegenüber Ramanujan auf. Trotz des Neides von Dozenten und Studenten, trotz aufkeimenden Fremdenhasses am Vorabend des Ersten Weltkrieges und auch persönlicher Rückschläge – aus unerklärlichen Gründen erhält er keine Post seiner Ehefrau Janaki mehr – gelingt es Ramanujan mit Hardys und John Littlewoods (Toby Jones) Unterstützung, in den akademischen Zirkeln seinen Theorien Anerkennung zu verschaffen. Dann bricht aber Ramanujans Krankheit aus, die ihn letztlich dazu zwingt, England wieder zu verlassen. Kürzlich stellte Regisseur Edward Zwick mit Bauernopfer – Spiel der Könige (siehe Filmarchiv) unter Beweis, dass Schachpartien spannend inszeniert werden können. Dass Filmbiografien über Wissenschaftler ebenso gelingen können, bewiesen sowohl Ron Howard mit A Beautiful Mind – Genie und Wahnsinn (2001) über das Leben des Mathematikers John Nash als auch Morten Tyldum mit The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben (2014) über den Mathematiker und Krypto-Analytiker Alan Turing. Auch wenn sich der Zuschauer im diesen Forschungsbereichen nicht auskennt, vermittelt ihm der jeweilige Film doch ein Gefühl für die Bedeutung beziehungsweise für den Beitrag, den der Wissenschaftler geleistet hat.

In Die Poesie des Unendlichen setzt Drehbuchautor und Regisseur Matthew Brown genretypische Mittel ein, etwa schnellgeschnittene Szenen, die das Leben von Ramanujan verdichten. Andererseits stellt Brown die Beziehung zwischen dem anerkannten, nach strikten Methoden arbeitenden Professor und dem bahnbrechenden, genial-intuitiv schaffenden, jüngeren Forscher ohne akademischen Unterbau in den Mittelpunkt. Hinzu kommen die Reaktionen der Wissenschaftswelt auf den neuen Star am Himmel der Mathematik, die von Neid und Missgunst bis zu Anerkennung und Bewunderung reichen.

Obwohl Die Poesie des Unendlichen gegen Ende zu sehr den Genre-Konventionen folgt, wodurch der Film eine überzogene Dramatisierung erfährt, obwohl sich die Filmmusik von Coby Brown zu sehr in den Vordergrund spielt, gelingt es Matthew Brown, einerseits zwei völlig gegensätzliche Charaktere zu zeichnen – das Aufeinanderprallen der unterschiedlichen Herangehensweise sowie die trotz aller Reibungen und Differenzen entstandene Freundschaft bilden das Zentrum von Die Poesie des Unendlichen. Dafür kann Regisseur Brown auf zwei herausragende Charakterdarsteller zurückgreifen: Jeremy Irons verkörpert den Cambridge-Professor mit einer Mischung aus vornehmer Distanziertheit und wohlwollendem Interesse für den Neuling. Dev Patel stellt Ramanujan als feurigen Charakter dar, der voller Hingabe für die Anerkennung seiner Theorien lebt. Andererseits geht Matthew Brown noch einen Schritt weiter: Ihm gelingt es, dem Drang Ramanujans nach Veröffentlichung seiner Theorien filmischen Ausdruck zu verleihen.

*

Filmische Qualität: Vier Sterne (max. fünf Sterne)
Regie: Matthew Brown
Darsteller: Dev Patel, Jeremy Irons, Stephen Fry, Toby Jones, Devika Bhise, Arundhati Nag
Land, Jahr: USA/Großbritannien/Indien 2015
Laufzeit: 114 Minuten
Genre: Dramen
Publikum: ab 12 Jahren
Im Kino: 05/2016

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Dr. José García, geb. 1958, Magister Artium 1982, promovierte in Mittlerer und Neuerer Geschichte an der Universität Köln 1989. Filmkritiker für verschiedene Zeitungen. Autor der Filmbücher „Träume, Werte und Gefühle. Die wundersame Welt von Film und Kino“ und „Der Himmel über Hollywood. Was große Filme über den Menschen sagen“. Mitglied im Verband der deutschen Filmkritik, Mitarbeit an den Jurys für die Verleihung des „Preises der Deutschen Filmkritik“. José García lebt und arbeitet in Berlin.

Quelle & Rechte: zenit.org. The Cathwalk empfiehlt seinen Leser das Abonnieren des kostenlosen Zenit.org-Newsletter

1 Kommentar

  1. Das klingt sehr interessant.

    Ich gebe allerdings (bevor ich den Film gesehen habe) zu bedenken, daß auch wenn Prof. Hardy Atheist gewesen oder sich als solcher gesehen haben mag, dennoch – um es kurz zu machen – dessen Weise, Mathematik zu betreiben, die auch die allgemein übliche ist, nüchtern, beweisgestützt, schön, doch geradezu exemplarisch steht für eine Frucht der europäischen Zivilisation, der mittelalterlichen Universität und somit des Christentums. Demgegenüber erscheint Ramanujan, der – meines Wissens – behauptete, seine verrückten* und oftmals zutreffenden Formeln seien im vom Hindugott Sonstnochwem eingegeben worden, geradezu exemplarisch als Beispiel für fernöstlichen Aberglauben angesehen werden kann.

    Was natürlich an Ramanjans Genialität nichts ändert.

    Die die europäischen Wissenschaftler schließlich auch erkannt haben. Sie legten aber nach wie vor Wert auf Beweise, die teilweise in Arbeitsgruppen mit Ramanujans Werken als Vorlage erarbeitet und sehr oft gefunden wurden: und auch das war von Wert.

    [* pi ist das Inverse des 2sqrt(2)-fachen des 9801. Teils der unendlichen Reihe (beginnend bei k = 0) über (4k)!*(1102 + 26390k)/((k!)^4*(396^(4k))) … das meine ich mit „verrückt“. Es stimmt übrigens.]

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