Donnerstag, 28. März 2024

Perlen der Moderne: Sakralarchitektur im 20. Jahrhundert

Die moderne Architektur nimmt in der Geschichte der Architektur eine Sonderstellung ein. Zum einen tritt der dekorative und symbolische Charakter des Bauwerks zugunsten eines Funktionalismus („Form follows function“) immer mehr in den Hintergrund und zum anderen verkürzen sich die Stilepochen aufgrund der durch den technischen Fortschritt reduzierten Bauzeit wesentlich.

Ähnlich wie die profane Architektur versucht auch die Sakralarchitektur – wobei hier in erster Linie die katholische gemeint ist – zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Historismus und Eklektizismus des 19. Jahrhunderts zu überwinden. Fatalerweise ahmt sie jedoch nur die Profanarchitektur ihrer Zeit nach, ohne zu beachten, dass Sakralarchitektur ohne Symbolismus und Metaebene nicht funktionieren kann. Jahrtausende an kirchlicher Architektur werden, da sie als – im weitesten Sinne des Wortes – zu symbolisch angesehen werden, ignoriert.

Des Weiteren vergisst man, dass Sakralarchitektur äußerst komplex und anspruchsvoll ist und daher wesentlich mehr Zeit zur Planung und Ausreifung benötigt als bspw. eine Shopping Mall oder ein Verwaltungsgebäude. Das Ergebnis sind misslungene moderne Sakralbauten, die man meist nur aus einem einzigem Grund als Kirchen identifizieren kann: es befindet sich ein Altar bzw. ein Tisch an exponierter Stelle. Traurigerweise sind diese Sakralbauten in vielen Fällen auch noch Kopien an sich fragwürdiger architektonischer Versammlungsbauten. So sind bspw. Konzertsäle als Bauvorbild sehr beliebt.

Interessanterweise existieren jedoch einige wenige Bauten, die das 19. Jahrhundert wirklich überwunden haben, indem sie die kirchliche Architektur im Kontext neuer Baustile und Technologien weiterentwickelt haben. Diese Bauten beweisen, dass man nicht zu der Neo-Architektur zurückkehren muss, sondern dass in jedem Baustil Theologie materialisiert werden kann – und das ist letztendlich der Kern jeder gelungenen Sakralarchitektur.

Im Rahmen dieser Reihe sollen vier solcher gelungener Sakralbauten vorgestellt werden. Zwei der Beispiele stammen aus dem 20. Jahrhundert und zwei weitere wurden erst in den letzten 15 Jahren realisiert.

Bei der Betrachtung moderner Sakralarchitektur ist es äußerst wichtig, dass man die Bauten vorurteilsfrei betrachtet und sich zunächst einmal von dem Bild einer Kirche oder eines anderen Sakralbaus, das man in der Regel im Kopf hat, befreit, denn sonst nimmt man sich die Möglichkeit, diese Art von Architektur zu begreifen.

Das erste Beispiel für funktionierende Sakralarchitektur des 20. Jahrhunderts ist Otto Wagners wunderschöne Jugendstilkirche Zum hl. Leopold, besser bekannt als Kirche am Steinhof, die zwischen 1903 und 1907 in Wien entstanden ist. Der Architekt verbindet hier eine klassische byzantinische und im entferntesten Sinne gotische Formensprache mit dem leichten Dekor des Jugendstils, wobei eine einzigartige Gesamtkomposition entsteht.

Ein weiteres Beispiel ist Le Corbusiers Klosterbau Sainte-Marie de la Tourette, ein Dominikanerkloster, das zwischen 1953 und 1960 in Frankreich erbaut worden ist. Es stellt eines der gelungensten Bauwerke des 20. Jahrhunderts dar und dennoch schreckt es den Betrachter normalerweise erst einmal ab. Der Grund dafür ist wahrscheinlich in seinem Baustil, dem eher unbeliebten und als hässlich empfundenen Brutalismus (→ fr. béton brute: roher Beton), zu suchen.

Das Geniale und Faszinierende an diesem Gebäude ist die Art und Weise, wie Le Corbusier die traditionelle Sakralarchitektur im Kontext und mit der Technologie des Brutalismus interpretiert hat. Beispielsweise hat er das klassische Element des Kreuzganges zu einem kreuzförmigen Verbindungsgang zwischen den einzelnen Gebäudeteilen umgestaltet. Dieser dient gleichzeitig als Begegnungsort, womit er den damaligen aktuellen Diskurs bei der Planung beachtet hat.

Einen zweiten Kreuzgang, der eher als Meditationsort verstanden werden kann, wurde hingegen auf das begrünte Flachdach verlegt. Le Corbusier hat somit den Kreuzgang als klassisches Element aufgesplittet und, die Möglichkeiten der brutalistischen Bauweise nutzend, sehr interessant neu umgesetzt. Des Weiteren hat der Architekt das Kloster in einmaliger und erstaunlicher Weise in die umgebende Natur und gleichzeitig die umgebende Natur in die Gestaltung des Klosters integriert. Aus den italienischen Klöstern der Frührenaissance kennt man die zahlreichen Fresken an den Klosterwänden.

Bei La Tourette jedoch übernimmt die Natur diese dekorative und meditative Funktion, indem sie durch zahlreiche Fenster an der Gestaltung des Klosters teilhat. Ein weiterer hochgradig interessanter Gebäudeteil ist die Krypta, die mehrere Altäre beherbergt und die, durch die geschickte Konstruktion und Anordnung farblich gestalteter Lichtschächte, in eine mystische Atmosphäre gehüllt ist.

Da man sich dieses Meisterwerk nur schwer vorstellen kann, empfehle ich jedem folgende kurze Dokumentation über La Tourette:

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Teil 2:

3 Kommentare

  1. Die Steinhofer Kirche ist wirklich eigenständig schön und liturgisch. Vorteilhaft ist, dass das gesamte Ensemble erhalten ist. Der unvermeidbare Volksaltar vor dem Speisgitter ist einerseits sicher zurückhaltend und kann vielleicht sogar entfernt werden, andererseits aber besonders lächerlich und sollte entfernt werden.

    Das zweite Beispiel ist berühmt und sicher eigenständig, zeigt aber, dass schon in den 1950iger Jahren Tendenzen wirksam waren, die unabhängig von der nachkonziliaren Liturgiereform zumindest befremden.

    Ich stimme mit der Autorin überein, dass gelungene Sakralkunst, wozu die Architektur gehört, nicht notwendig historisierend ist.

    Diese Einsicht kommt bei den Kirchenneubauten der Priesterbruderschaft St. Pius X. nicht immer, aber manchmal doch zum Tragen.

    So zB in der Seminarkirche von Econe, wo man leider den umschreitbaren Hochaltar nachträglich so „aufgebauscht“ hat, dass er wirkt, als stünde er an der Wand.

    Fast minimalistisch und echt zeitgenössisch wirkt die Prioratskirche von Oberriet, die trotzdem elegant und ausdrucksstark echte Sakralität atmet.

    Auch die Kirche von Schramberg-Sulgen möchte ich hier nennen oder, soweit ich es in Videos gesehen habe, die kürzlich von Msgr. Fellay konsekrierte Kirche von Phoenix, Arizona.

    Wenn man neu baut, muss man nicht nachahmen und kann trotzdem aus dem Formenreichtum der Tradition schöpfen. Aber es ist sicher schieriger und anspruchsvoller als die bloße Kopie, die zudem oft genug naiver und misslungener Versuch bleibt.

    Das gilt auch für Paramentik, Silber- oder Goldschmiede- und Wachskunst, weswegen ich alljährlich gezwungen bin, eine zugleich korrekt und eigenständig verzierte Osterkerze, die wirklich den liturgischen Vorschriften entspricht, gestalten zu lassen.

    Ein Zwang, der mir allerdings nicht wenig Freude bereitet. Trotzdem: Es ist unfassbar, wie willkürlich und unliturgisch Osterkerzen von der Stange inzwischen sind. Und die, die korrekt sind (Mangelware!), sind 0815, ohne jede Idee oder Unverwechselbarkeit. Dieses Stichwort „Osterkerze“ nur als Detailbeispiel, wo ich mich sehr konkret auf eigene, praktische Erfahrungswerte stützen kann.

    • Auch das Priorat München muss ich noch nennen, wobei die an sich wunderbare Statue, mW ein Werk des Grödner Schnitzmeisters Stuflesser, die die Patrona Bavariæ darstellt, strenggenommen nicht in die Kirche passt, die ja ganz und gar nicht barock ist.

  2. zählt eigentlich die Sagrada Familia als modern?

    Mir ist es jedenfalls so gegangen: als ich sie (damals war sie noch nicht geweiht) besucht habe, habe ich mir gedacht: hm, auch moderner Kirchenbau kann schön sein.

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